MEDICA 2019: Spannende Digitalisierungsprojekte der ENTSCHEIDERFABRIK werden bei der MEDICA 2019 vorgestellt

Foto: Messe Düsseldorf / ctillmann
Foto: Messe Düsseldorf / ctillmann

Von der Laborbank an den Heimarbeitsplatz – die Digitalisierung eröffnet ganz neue Möglichkeiten

Wie können Präparate digitalisiert und damit zugänglich gemacht werden für den Einsatz Künstlicher Intelligenz? Und lassen sich Arbeitsprozesse der Pathologie künftig sogar von Heimarbeitsplätzen aus realisieren? Zumindest die erste Frage findet zwar noch nicht durch gelebte Realität Beantwortung, rein technisch betrachtet scheint sie aber gelöst: „Digitalisierung der Pathologie – vollumfänglicher, elektronischer Workflow mit allen fallrelevanten histologischen Objektträgern zur digitalen und damit ortsunabhängigen Befundung“ lautet jedenfalls der Name eines der fünf „Schlüsselprojekte“, die beim diesjährigen Projektzyklus der Digitalisierungsinitiative ENTSCHEIDERFABRIK behandelt und im Rahmen der weltführenden Medizinmesse MEDICA in Düsseldorf im November vorgestellt werden (Laufzeit MEDICA 2019: 18. – 21. November). Den großen Gemeinschaftsstand der ENTSCHEIDERFABRIK finden die MEDICA-Besucher in Halle 13 (Stand E 80).

Dass sich die ENTSCHEIDERFABRIK auch der Pathologie widmet, hängt mit den Potenzialen zusammen, die sich aus der Digitalisierung für diesen Bereich ergeben. Der Alltag von Pathologen besteht aus der mikroskopischen Beurteilung von Gewebe sowie vielfach auch hochmoderner molekularer Krebsdiagnostik. Obwohl der Fachbereich in den letzten Jahren durch Highend-Technologien wie `Next-Generation-Sequencing´ und weitere molekulare Analysen seinen Stellenwert als Wegweiser moderner Krebstherapie beweisen konnte, so bleibt dies zumindest in Deutschland eine Disziplin mit geringem Digitalisierungsgrad. „Die neuartigen Therapieoptionen – wie die Immuntherapie – die sich gerade in der Therapie fortgeschrittener Krebserkrankungen entwickelt haben, formulieren eine Notwendigkeit, die moderne Pathologie in der Diagnostik zu erweitern. Verfahren der Künstlichen Intelligenz, die hierfür in Frage kommen, setzen voraus, dass die Schnittpräparate digital vorliegen“, erklärt Professor Reinhard Büttner, Leiter des Instituts für Pathologie am Universitätsklinikum Köln.

Objekträger am Fließband scannen

Die Firmen Sectra und Hamamatsu Photonics wollen kooperativ mit dem Universitätsklinikum Köln und der Technischen Universität München das Thema Digitalisierung der Pathologie angehen. Denn bislang kommen hier Mikroskope und nahezu ausschließlich analoge Objektträger für die Auswertung der Gewebeproben zur Anwendung. Dabei ist es bereits jetzt möglich, im Labor hergestellte Objektträger mit Hilfe eines Slide-Scanners zu digitalisieren. Der moderne Spezial-Scanner von Hamamatsu benötigt etwa rund dreißig Sekunden pro Objektträger. Die dabei entstehenden Datenmengen sind jedoch volumenträchtig: Die Bilder nehmen immerhin drei Gigabyte pro Objektträger im DICOM-Format in Anspruch. Das macht es notwendig, auch die Herausforderung der Übermittlung dieser großen Datenmengen praktikabel zu lösen. Ähnlich anderen bildgebenden Verfahren werden die digitalen Bilder der Objektträger auf Basis eines „Pathologie-PACS“ (PACS = Picture Archiving & Communication System) in einem digitalen Bildmanagementsystem gespeichert, dargestellt und verteilt. Aus dem IT-Verwaltungssystem der Pathologie bzw. des Labors werden die Bilder des zu befundenen Falls auf Anforderung des Arztes automatisch geöffnet. Der Arzt führt die Befundung am Monitor durch und er diktiert den Befund in seinem IT-System.

Weltweit gibt es zwar auch erste Installationen, in denen es gelungen ist, den kompletten Workflow in der Pathologie durch digitale Systeme abzubilden. In Deutschland findet die Einführung der neuen technischen Möglichkeiten für die klinische Routine jedoch nur zögerlich statt. Dabei bietet die Digitalisierung klare Vorteile. Im Universitätsklinikum Köln soll die Digitalisierung der Objektträger genutzt werden, um die Daten auswertbar und zugänglich für den Einsatz Künstlicher Intelligenz zu machen. Dies soll helfen, die Diagnosesicherheit weiter zu erhöhen. „In unserem aktuellen Projekt erheben wir diagnostische Marker der Krebsdiagnostik mit Hilfe moderner Bildanalyse, um so noch genauer und zuverlässiger therapierelevante Entscheidungen treffen zu können“, berichtet Sebastian Klein, forschender Arzt am UKK in Köln. Zudem können digitalisierte Bilder besser in Konferenzen und im Lehrbereich verwendet werden. Die neuen Optionen sind vielfältig. Die Digitalisierung ermöglicht verteilte Workflows mit flexibler Personalplanung sowie eine ortsunabhängige Befundung insbesondere bei Schnellschnitten ohne Transport durch Taxis. Letztendlich könnte die Digitalisierung der Pathologie der Einrichtung von Heimarbeitsplätzen und der Versorgung entfernter Standorte dienen.

Ein Datenflickenteppich und die Prüfung durch den MDK…

Zweifelsohne sollte in die Digitalisierung das gesamte Klinikum einbezogen werden. Aktuelle Gesetze, Verordnungen und Richtlinien stellen große Anforderungen und Aufgaben – zum Beispiel an das Entlass- sowie Prozessmanagement. Klinische Daten und Dokumente können zudem dann lebensverlängernd für viele Patienten sein, wenn sie als Basis für Prozesseffizienz, Kommunikation und mehrwertspendende Wissensgenerierung vollständig elektronisch verfügbar sind.

Startet beispielsweise der Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) eine Anfrage, ist es wichtig, zeitnah zu reagieren. Dann müssen die Unterlagen binnen acht Wochen nach Zugang der Unterlagenanforderung an den MDK übermittelt werden, ansonsten drohen Rechnungsabzüge in empfindlicher Höhe. Jedoch kommt dieser Vorgang vielerorts noch einer besonderen Herausforderung gleich: „Die meisten Krankenhäuser in Deutschland haben die Daten in unterschiedlichen Formaten und auf unterschiedlichen Medien gespeichert“, schildert Dirk Holthaus von promedtheus AG. Als Seniorberater ist er involviert in das ENTSCHEIDERFABRIK-Projektthema „Archivar 4.0 und die Unterstützung des Digitalen Wandels durch interoperable Archivierung intelligenter Patienten-Akten“. Am Thema Archivar 4.0 arbeiten so unterschiedliche Projektpartner wie die Klinikgruppe AMEOS und die St. Vincenz Krankenhaus GmbH in Paderborn mit. Hier ist es derzeit noch so, wie es in den meisten deutschen Kliniken dem Status quo entspricht. Gewachsene Strukturen und Prozesse führen dazu, dass die führende Akte immer noch die Papierakte ist. Zwar ist der Digitalisierungsgrad durchaus recht hoch, aber etliche Geräte und Programme in den Abteilungen sind noch Insellösungen und damit nicht optimal eingebunden in die Gesamt-IT. Eine gemeinsame Plattform könnte diese „Inseln“ zusammenführen und den derzeit vorherrschenden „typischen“ Prozessablauf vereinfachen in technischer, logistischer und organisatorischer Sicht.

Denn bislang wird die Papierakte in vielen deutschen Kliniken erst zeitlich weit nach der Entlassung des Patienten gescannt und im KIS (Krankenhausinformationssystem) elektronisch zur Verfügung gestellt. Die Bilddokumentation (DICOM-Objekte) liegen in der Regel im PACS vor. Statt dieses Datenflickenteppichs wären zentral zusammengeführte Daten dann von enormen Vorteil, etwa im Hinblick auf Informationen für den Entlassbrief eines Patienten, die DRG-Eingruppierung (Diagnosis Related Groups) zur Abrechnung oder eben eine Anfrage des MDK.

Auslagerung von Daten als Option

Die DMI ist als Dienstleister für Archivierung beteiligt am Digitalisierungsprojekt Archivar 4.0. Sie hat sich einer Herkulesaufgabe verschrieben: der nutzerfreundlichen Archivierung von Klinikdaten, gesichert über Jahrzehnte und unter Berücksichtigung vorhandener Gesetze und Regelungen im Sinne vollständigen Datenschutzes und Datensicherheit. Für Kliniken könnte sich daraus eine lohnenswerte Option ergeben. Dreißig Jahre müssen Daten revisionssicher gespeichert werden. Ein Krankenhaus könnte etwa für einen Fünfjahreszeitraum Datenspeicherung mit der hauseigenen IT umsetzen, um die älteren Daten dann mit Hilfe der DMI elektronisch einsehen zu können. Bei DMI werden die Daten IHE-konform (IHE = Integrating the Healthcare Enterprise) gespeichert. Dieser globale Standard ist im Gesundheitswesen weitverbreitet und stellt eine Initiative von Anwendern und Herstellern mit dem Ziel dar, den Datenaustausch zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen zu standardisieren und zu harmonisieren. 75 Organisationen – zum Beispiel die Deutsche Röntgengesellschaft, der Bundesverband Gesundheits-IT und der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie – gehören dem namensgebenden `Integrating the Healthcare Enterprise´ allein in Deutschland an. Die Daten werden bei DMI verschlüsselt gespeichert, so dass das Unternehmen diese selbst nicht lesen kann.

Weitere Vorteile einerseits, Komplexität andererseits

Der Service rund um das System einer zentralen Datenzusammenführung und -archivierung hat noch weitere Vorteile zu bieten. So können zum Beispiel Dubletten erkannt und deren Bereinigung dem Klinikum vorgeschlagen werden. Auch eine datenschutzkonforme Sicht auf die einrichtungsübergreifende Patientenakte ist möglich. Gerade große Klinikketten könnten hiervon profitieren, schließlich erwartet mancher Patient, dass seine Daten vorliegen, wenn er bereits ein Krankenhaus der gleichen Kette besucht hatte.

Die möglichen Anwendungen von Archivar 4.0 sind so vielfältig wie komplex, dass im ersten Schritt bis zur MEDICA 2019 zunächst ein Lasten- und Pflichtenheft mit den an diesem ENTSCHEIDERFABRIK-Projekt beteiligten Kliniken formuliert werden soll. Die Umsetzung ist planmäßig im nächsten Jahr vorgesehen und wird auch wieder für den Projektzyklus 2020 als ein zentrales Digitalisierungs-Projektthema zur Wahl gestellt.

Bessere Kommunikation ohne WhatsApp

Ein großes Verbesserungspotenzial für Krankenhäuser sehen viele in der Kommunikation. Im privaten Bereich gehört hier WhatsApp zu den führenden Playern. Aber zahlreiche, insbesondere datenschutzrechtliche Nachteile stehen dem dienstlichen Einsatz im Rahmen des Gesundheitssystems entgegen. So wurde bereits im Projektzyklus 2018 der ENTSCHEIDERFABRIK die sichere Kommunikation zwischen den Mitarbeitern von Kliniken per alternativem Messenger `Netsfere´ thematisiert und umgesetzt. Dessen Einführung hat dabei eine sichere und intuitive Kommunikationsplattform in den beteiligten Kliniken geschaffen. Zum weiteren Ausbau der Lösung haben sich diese Krankenhäuser nun eine stärkere Einbindung in die pflegerischen und medizinischen Prozesse und die nachhaltige Dokumentation im Krankenhausinformationssystem (KIS) vorgenommen. Der Bedarf gerade an dieser Stelle ist sehr hoch. Denn vorhandene Nachrichtenwege werden als verstaubt und unflexibel wahrgenommen. Hier kommt Netsfere ins Spiel, um für den klinischen Alltag einen Freiraum für eine schnelle selbstbestimmte Interaktion der Mitarbeiter zu schaffen. Mit diesem Messenger kann die Klinik-IT sicherstellen, dass ausgetauschte Nachrichten, Bilder, Videos etc. von klinikeigenen und von Endgeräten der Mitarbeiter bei Bedarf sicher archiviert und für Audits verfügbar werden. Zudem haben Anwender der Klinik die Möglichkeit, über die sichere Gastnutzer-Funktion auch Patienten in die sichere Kommunikation einzubinden. Im Klinikum Nordoberpfalz wird zum Beispiel die Blutschwämmchen-Nachsorge mittels Bildübertagung durch Netsfere unterstützt. Eltern und Ärzte ersparen sich dadurch Zeit und Wege, die Therapiekontrolle wird insgesamt engmaschiger und schneller.

Messenger als dominierendes Kommunikationstool

In der weiteren Folge könnte das System zu einem alles dominierenden Kommunikationstool ausgebaut werden – von der Ausspielung von Alarmen über Netsfere, der Koordination von Einsatz-Teams bis hin zu patientenorientierten Anwendungen (z. B. Informationen, Integration von Aufklärungsbögen). Infinite Convergence Solutions, als Hersteller der Lösung NetSfere, wird im nächsten Schritt zusammen mit der St. Augustinus-Gruppe, Elisabeth Krankenhaus Essen, Universitätsklinikum Bonn, Vestische Caritas Kliniken, Westpfalz-Klinikum, Kinderkrankenhaus auf der Bult, Kliniken Nordoberpfalz und der Ategris-Gruppe ein entsprechendes Kommunikationskonzept entwickeln, um es anschließend in Netsfere umzusetzen.

Am Dienstag, 19. November, werden die Ausarbeitungen zu den beschriebenen drei und den beiden weiteren Digitalisierungsthemen 2019 der ENTSCHEIDERFABRIK beim 42. Deutschen Krankenhaustag im Rahmen der MEDICA 2019 präsentiert.

Weitere Informationen zur MEDICA-Beteiligung der ENTSCHEIDERFABRIK sowie eine Projektübersicht sind online abrufbar unter: https://www.medica.de/entscheiderfabrik.

Autorenhinweis: Dr. Lutz Retzlaff, freier Medizinjournalist (Neuss)

 

 

Bild & Text: medica.de