AMB 2022: Im Feingewinde des Fortschritts

Bildnachweis: Landesmesse Stuttgart GmbH
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Viele Jahre lang bewegte sich die metallverarbeitende Industrie in einem Feingewinde der Optimierungen: weniger Umspannvorgänge in der Maschine, präziser gefertigte Funktionsflächen oder optimierte Bauteilzuführungen – meist drehten sich die Innovationen um mehr oder weniger große Produktivitätssteigerungen. Jede Minute im Fertigungsprozess wurde gefeiert. Beim Blick in die Schlagzeilen müssen wir feststellen, dass deutlich weitreichendere und existenziellere Herausforderungen hinzugekommen sind.

Gefühlt „über Nacht“ stecken MaschinenbauerInnen und AnwenderInnen eher im Trapez- denn im Feingewinde fest: Klimawandel und Coronakrise und nun auch noch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine erzeugen Reibungshitze und eine extreme Anforderungssteigung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Quarantäne, ausfallende und verzögerte Lieferketten, Rohstoff- und Chip-Mangel sowie ganze Abnehmerbranchen in Systemkrise betreffen zwar die gesamte Wirtschaft, doch die metallverarbeitende Industrie in besonderem Maße, wie es scheint.

Deutliches Wachstum im In- und Ausland

Angesichts dieser Überlegungen reibt man sich beim Blick auf die Marktzahlen hingegen verwundert die Augen: Der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) vermeldet in Person des Vorsitzenden Franz-Xaver Bernhard einen Anstieg des Auftragseingangs im Pandemie-Jahr 2021 von 58 Prozent. Starker Treiber war das Ausland mit einem Anstieg von 62 Prozent, aber auch die inländischen Bestellungen legten um mehr als die Hälfte zu. Insgesamt hat die Werkzeugmaschinenindustrie im vergangenen Jahr Maschinen und Dienstleistungen im Wert von rund 12,7 Mrd. Euro produziert. Und auch der Umsatz mit Zerspanungswerkzeugen und Spannzeugen stieg 2021 trotz schwieriger Bedingungen zweistellig, wie der VDMA Präzisionswerkzeuge feststellt.

Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn man bedenkt, dass die leeren Seiten in den Auftragsbüchern vor allem diejenigen aus den Jahren 2019 und 2020 sind. Und vermutlich wird auch im Rückblick in einigen Jahren ein differenzierteres Bild der unterschiedlichen Herausforderungen gezeichnet werden: Betrachtet man die einzelnen Wandlungsprozesse, die sich momentan so schrill überlagern, voneinander losgelöst, zeigt sich, dass die Branche früh auf die unterschiedlichen Themen reagiert hat.

Antworten auf die Herausforderungen

Um die Prozesse bei unter Druck stehenden Automobilzuliefer-Unternehmen zu optimieren, entwickeln MaschinenbauerInnen beispielsweise neue hybride Maschinen, die Drehen, Schleifen und weitere Verfahren kombinieren und mit Automatisierungskomponenten ergänzen. So werden unter anderem Getriebebauteile in einer Maschine vollständig spanend bearbeitet und große Stückzahlen im Spannungsfeld zwischen einem enormen Kostendruck und hohen Ansprüchen an die Präzision produziert.

Auch haben viele HerstellerInnen früh Ersatz für den drohenden Verlust der automobilen Kundschaft gesucht und gefunden. Mit der seit Jahreswechsel noch einmal stark forcierten Energiewende dürften beispielsweise die Stückzahlen mechanischer Komponenten für Windkraftanlagen Generatoren und Kompressoren für Wärmepumpen und Komponenten für eine zukünftige Wasserstoffwirtschaft steigen. Einige SpezialistInnen der Werkzeugherstellung haben sich ebenfalls früh auf die hochpräzise Fertigung von Komponenten von Elektromotoren konzentriert und freuen sich bereits seit einiger Zeit über eine steigende Nachfrage. Nicht zuletzt werden auch die zu erwartenden massiven Investitionen in Rüstungsgüter einen spürbaren Nachfrageeffekt auf die gesamte Branche der metallverarbeitenden Industrie haben.

Dauerbrenner Digitalisierung

Die Themen Industrie 4.0, digitaler Zwilling und der Einsatz künstlicher Intelligenz im Zerspanungsprozess stehen ebenfalls seit Jahren auf den To-Do-Listen vieler HerstellerInnen und DienstleisterInnen. Mehr und mehr AnwenderInnen holen sich Integratoren in den Betrieb, um Informationen über den Status einer Werkzeugmaschine, ihrer Stillstände, Energieverbräuche oder Vibrationen und Schwingungen zu ermitteln. Kennzahlen, mit denen sich wertvolle Informationen über den Zustand von Maschine und Produktion ablesen lassen. Selbst die Nachfrage nach 5G-Dienstleistungen – zur drahtlosen Anbindung der Datenerfassung – steigt spätestens seit Mitte 2021 überdurchschnittlich an, wie InsiderInnen berichten.

Auch der digitale Zwilling, der lange Zeit nur in den Skizzen-Büchern der Planungsabteilungen zu sehen war, ist bereits Wirklichkeit geworden. Bei führenden HerstellerInnen entsteht heute mit jeder realen Werkzeugmaschine parallel ihr virtuelles Abbild. Das hilft dem Anwendenden bei der Installation, beim Engineering automatisierbarer Fertigungssysteme und bei der Schulung des Personals. Positive Auswirkungen in der Produktion sind ein deutlich schnellerer Produktionshochlauf, die Vermeidung von Kollisionen und insgesamt sinkenden Kosten für die Bearbeitungsvorgänge.

Auch Software trägt ihren Anteil zum Fortschritt bei: Spezielle Simulationsprogramme helfen AnwenderInnen beispielsweise Abweichungen beim Nullpunkt oder bei den Werkzeugplätzen zu erkennen, bevor es zu Problemen im Betrieb kommt. Komplexe Mehrachsbearbeitung soll vereinfacht werden und dem Anwendenden automatisch die beste Lösung für eine perfekte Bearbeitung angeboten werden.

Automatisierung für Dreh- und Bearbeitungszentren

Nicht nur als Antwort auf den seit Jahren latent vorhandenen Fachkräftemangel steigt auch der Einsatz von Automatisierungskomponenten in der Metallverarbeitung stetig an. Beispielsweise ist die Programmierung und Einrichtung von Beladerobotern heuten kein Hexenwerk mehr. Um die Produktion weiter zu automatisieren und damit zu beschleunigen und weniger fehleranfällig zu machen, be- und entladen Roboter mit 3D-Kamerasystemen Dreh- und Fräsmaschinen automatisiert mit den bereitstehenden Werkstücken.

Innovationen und unterschiedlichste Ansätze zur Verbesserung des Produktionsprozesses in der Metallbearbeitung – letztendlich macht es doch die Summe des Feinschliffs an den vielen Gliedern in der Prozesskette aus, die den Fortschritt bringen. Und sie sind es auch, die die Industrie resilient und flexibel macht für die globalen Herausforderungen, denen sich die gesamte Industrie stellen muss.

Die jüngsten Weiterentwicklungen für spanende und abtragende Werkzeugmaschinen, Präzisionswerkzeuge, Messtechnik und Qualitätssicherung, Roboter, Werkstück- und Werkzeughandhabungstechnik, Industrial Software und Engineering, Bauteile, Baugruppen und Zubehör werden in diesem Jahr auch wieder auf der AMB in Stuttgart zu sehen sein. Die Aussteller präsentieren ihre Lösungen auf 120.000 Bruttoquadratmetern, unterstützt von den ideellen Trägerverbänden VDMA Präzisionswerkzeuge, VDMA Software und Digitalisierung sowie dem Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken. Und sie werden die Chance nutzen und mit BesucherInnen und PartnerInnen den richtigen Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit diskutieren.

Bild & Text: messe-stuttgart.de/amb/