Ausg.Nr._20/2017
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Umformung
B
ei der Umformung wer-
den
Blechwerkstoffe
häufig bis an ihre Gren-
zen belastet. Wie weit man in
der Produktion gehen kann
wird mit Computersimulationen
getestet. Doch diese Simulatio-
nen sind nur so genau wie die
Daten, die man ihnen zugrunde
legt. Ein Team am Fraunhofer-
Institut für Werkstoffmecha-
nik IWM in Freiburg hat jetzt
ein virtuelles Versuchslabor
entwickelt, mit dem beliebige
Belastungszustände für metal-
lische Materialien »auf Knopf-
druck« untersucht und präzise
werkstoffmechanische
Daten
ermittelt werden können.
Die mechanischen Eigenschaf-
ten von Blechwerkstoffen sind
richtungsabhängig: Ihr Verfor-
mungsverhalten und ihre Festig-
keit unterscheiden sich stark je
nach der Bearbeitungsrichtung,
zum Beispiel in Walzrichtung
oder quer dazu. Daher sind zahl-
reiche und aufwendige Belas-
tungsversuche notwendig, um
die benötigten Materialdaten
zu erhalten, auf deren Grund-
lage das Verhalten von Blech-
werkstoffen bei der Umformung
möglichst genau vorhergesagt
werden kann.
Klassische Versuche im Labor
sind zeit- und kostenintensiv.
Für jeden Belastungszustand
sind neue Versuchsaufbauten
und Materialproben nötig. Zu-
dem lassen sich bei Blechwerk-
stoffen nicht alle Belastungs-
zustände untersuchen, obwohl
sie für die Computersimulation
des Herstellungsprozesses von
Bauteilen wichtig wären. Wenn
es beispielsweise darum geht,
das Verhalten von Blechwerk-
stoffen in Richtung ihrer Dicke zu
bestimmen, stoßen herkömmli-
che Versuche an ihre Grenzen:
Die ein bis zwei Millimeter der
Blechdicke sind zu wenig, um in
dieser Richtung Proben für einen
Zugversuch präparieren zu kön-
nen.
Zugversuche in
Blechdickenrichtung
problemlos möglich
»In unserem virtuellen Labor sind
Zugversuche in Blechdickenrich-
tung problemlos möglich«, sagt
Dr. Alexander Butz, Projektleiter
in der Gruppe Umformprozesse
am Fraunhofer IWM. »Auch alle
anderen
Belastungszustände
lassen sich schnell und flexibel
testen. So erhalten Bauteilher-
steller aus der Blechumformung
viel detailliertere Materialda-
ten.«
Dafür erstellen Butz und sein
Team zunächst mit Hilfe von
wenigen realen Experimenten
ein Simulationsmodell der Mik-
rostruktur des Werkstoffes, mit
dem bei Verformung die phy-
sikalischen Mechanismen bis
in dessen Kristallstruktur be-
schrieben wird. Damit können
alle gewünschten Versuche im
Computer generiert und zuver-
lässige Rückschlüsse auf die
makroskopischen mechanischen
Eigenschaften des Werkstoffs
gezogen werden. »Die Metho-
de ist bekannt. Neu ist jedoch,
dass wir einen automatisierten
Workflow entwickelt haben, der
die Versuche zeitsparend virtu-
ell ablaufen lässt«, erklärt Butz.
Weil sehr viele virtuelle Versuche
in kurzer Zeit durchgeführt wer-
den und das zugrundeliegende
Mikrostrukturmodell sehr prä-
zise ist, kann mit den Ergebnis-
sen aus dem virtuellen Labor
die sogenannte Materialkarte
eines Werkstoffs deutlich genau-
er beschrieben werden als mit
klassischen Versuchen. Die vir-
tuell ermittelten Daten können
dabei von Bauteilherstellern in
gleicher Weise weiterverarbei-
tet werden wie experimentell
gewonnene Daten: Neben den
Simulationen für die Bauteilpro-
duktion auch für Simulationen
zur Vorhersage des Bauteilver-
haltens und der Lebensdauer
während seiner Benutzung.
Kritische Stellen in der
Mikrostruktur können gezielt
untersucht werden
Ein weiterer Vorteil: »Kritische
Stellen, an denen das Bauteil in
der Produktion häufig Schäden
aufweist, können herausgegrif-
fen und die Mikrostruktur wie
mit einem virtuellen Mikros-
kop gezielt untersucht werden.
So erhalten wir Hinweise dar-
auf, wie sich der Bearbeitungs-
prozess verbessern lässt«, sagt
Butz.
Besonders interessant ist das
virtuelle Versuchslabor für die
Leichtbau-Industrie, weil sie mit
möglichst wenig Material arbei-
ten will – entsprechend stark ist
dessen Beanspruchung. »Gene-
rell ist unsere Entwicklung für
alle spannend, die sehr genaue
Eingangsdaten für die Prozess-
simulation und Bauteilausle-
gung benötigen, zum Beispiel für
Bauteilhersteller der Automobil-
oder Luftfahrtindustrie oder in
der additiven Fertigung.«
Text & Bild:
Fraunhofer-Institut für Werk-
stoffmechanik IWM
Wöhlerstraße 11
D-79108 Freiburg
Umformsimulationen schnell und vielfältig:
Werkstoffdaten für Umformsimulation im virtuellen
Labor ermitteln
Von den experimentell ermittelten Eingangsdaten über das virtuelle
Labor zur Bereitstellung von Materialkarten für die Bauteilsimulation.