Ausgabe zur HANNOVER MESSE & CEMAT 2018

34 Ausg.Nr._09/2018 Entwicklungen N eue Entwicklungen brau- chen neue Materialien. Diese wurden bisher meist durch langwierige Versu- che im Labor entwickelt. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Algorithmen und Wissenschaft- liches Rechnen SCAI in Sankt Augustin kürzen diesen zeit- und kostenintensiven Prozess mit ihrem »Virtual Material Design«- Ansatz und der speziell entwic- kelten Software Tremolo-X nun deutlich ab. Durch die Kombina- tion von Multiskalenmodellen, Datenanalyse und maschinellem Lernen ist es möglich, optimier- te Materialien deutlich schneller zu entwickeln. Auf der Hanno- ver Messe vom 23. bis 27. April 2018 demonstriert Fraunhofer anschaulich, wie das virtuelle Materialdesign der Zukunft aus- sieht (Halle 6, Stand A30). In nahezu jeder Branchewerden für neue Entwicklungen neue Materia- lien benötigt. Beispiel Automobil- industrie: Bestand ein Automobil früher nur aus einer Handvoll Ma- terialien, werden moderne Autos aus tausenden unterschiedlichen Materialien zusammengebaut – und der Bedarf steigt. Ob es darum geht, ein Auto leichter zu machen, bessere Verbrauchswerte zu erzie- len oder ob es um die Entwicklung von Batterien für Elektromotoren geht: Für jede neue Entwicklung muss das Material gefunden oder entwickelt werden, das genau die richtigen Eigenschaften hat. Doch die Suche nach dem richtigen Material ging bisher oft wie ein Ratespiel vonstatten. So wurden und werden die Kandidaten meist aus riesigen Werkstoffdatenban- ken ausgesucht und getestet. Diese Datenbanken geben zwar Aufschluss über bestimmte Leis- tungseigenschaften, gehen aber meist nicht genug in die Tiefe, um aussagekräftige Urteile darüber zu erlauben, ob ein Material genau die gesuchten Eigenschaften hat. Um das herauszufinden, müssen zahlreiche Labortests durchge- führt werden. Die Wissenschaftler des Fraunhofer SCAI haben einen anderen Ansatz gewählt. Die An- forderungen an denWerkstoff wer- den bis zur inneren Struktur des Materials, also bis auf die atomare Ebene hinabgebrochen. Eine spe- ziell entwickelte Software, Tremo- lo-X, berechnet dann, wie sich die Teilchen des Materials verhalten, wenn bestimmte physikalische Effekte auf sie einwirken. So kann darauf geschlossen werden, ob sich auf Basis dieser Teilchen ein Werkstoff mit den gewünschten Ei- genschaften entwickeln lässt. Virtuelle Vorhersagemodelle und atomistische Simulationen »Unser Ziel ist es, die Suche nach dem passenden Werkstoff abzu- kürzen. Oft dauert dieser Prozess zehn bis zwanzig Jahre, was nicht nur zeit- sondern auch kostenin- tensiv ist,« sagt Dr. Jan Hamaekers vom Fraunhofer SCAI. »Die Idee ist, über virtuelle Prozesse die An- zahl der Kandidaten auszusieben, bis nur noch einige wenige übrig sind, die dann im Labor getestet werden.« Dafür müssen zunächst die Anforderungen an das Material definiert werden. Beispielsweise wie schnell einWerkstoff abkühlen muss oder welchen Belastungen er standhalten muss. Dies wird im Computer mit der Fraunhofer-Soft- ware auf zwei verschiedene Wei- sen simuliert: Auf atomarer- oder sogar auf Quantenebene werden virtuelle Teilchen simuliert. Wie verhalten sie sich? Wie reagieren die Teilchen untereinander? Die andere Methode leitet aus vorhan- denen Daten und Kenntnissen Vor- hersagemodelle ab, die es ermög- lichen, die Eigenschaften eines Materials vorauszusagen. »Ziel ist es, neue innovative Materialien undMoleküle mit effektiven Eigen- schaften im virtuellen Computerla- bor zu optimieren, zu kreieren und zu erforschen, um deren Struktur und Design vor der eigentlichen Synthese vorzuschlagen,« erklärt Hamaekers. Multiskalen-Modellierung: Vom Atom zur Prozesskette Deutlich wird das Vorgehen bei der Multiskalen-Modellierung, wie sie unter anderem in der che- mischen Industrie zum Einsatz kommt. Hier wird zunächst auf Quantenebene die Chemie des Materials beschrieben. Diese In- formationen werden auf immer gröbere Modelle übertragen, die Moleküle und deren physikalische Eigenschaften abbilden. »Will man zum Beispiel bei einer Lithium- Ionen-Batterie vorhersagen, wie gut das Elektrolyt ist bzw. wie schnell die Ionen diffundieren, si- mulieren wir zunächst die Teilchen auf der Quantenebene und sehen, was da für Reaktionen ablaufen. Dann gehen wir mit diesen Infor- mationen auf die nächste Ebene und erhalten Aufschluss über die Dynamik, also wie sich die Partikel auf atomarer Ebene bewegen. Von hier können wir dann noch eine Skala nach oben gehen und uns anschauen, wie sich das Elektro- lyt in der makroskopischen Welt verhält. So erhalten wir präzise Einblicke in alle Abläufe und kön- nen falls nötig Prozesse anpassen oder verändern,« verdeutlicht Hamaekers. Auf diese Weise kön- nen nicht nur neue Materialien entwickelt oder passende Ma- terialien für bestimmte Anwen- dungen gefunden werden. Auch Prozesse lassen sich überprüfen und optimieren. Denn durch die Simulation der Prozessabläufe auf atomarer oder molekularer Ebene in einem virtuellen Reaktor lassen sich exakt die Stellen oder Para- meter identifizieren, die optimiert werden können. Auf der Hannover Messe 2018 zeigt das Fraunhofer SCAI anhand anschaulicher Beispiele, wie das Design von Materialien durch Modellierung, Datenanalyse und maschinelles Lernen optimiert werden kann.  Text & Bild: Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. Hansastraße 27 c D-80686 München Virtuelles Materialdesign Von der Quantenebene zur Autobatterie Auch winzige Objekte lassen sich detailiert abbilden: Hier das ato- mistische Modell des Tabakmosa- ikvirus. Das röhrenförmige Virus ist ca. 300 nm lang und 18 nm im Durchmesser. © Fraunhofer SCAI Grafische Benutzeroberfläche der Fraunhofer SCAI Software Tremolo-X. © Fraunhofer SCAI

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